Künstlerinterview – Paula Maß, Judit Rönsch und Louise Schmidt

Ein Atelierbesuch bei Dana Meyer – ein Gespräch mit Paula Maß, Judit Rönsch und Louise Schmidt am 3. März 2020

An einem verregneten Märztag empfängt uns die Bildhauerin Dana Meyer in ihrem im Westen der Leipziger Innenstadt gelegenen Atelier. Ein langer Flur im Parterre des charmanten Altbaugebäudes führt uns zu einer ihrer Hauptarbeitsstätten: dem Hinterhof. Stahlplatten- und stäbe lehnen und liegen als verstreute Ansammlungen am umgrenzenden Mauerwerk. In der Mitte des Hofes, an einem provisorischen Stahlgestell befestigt, erwartet uns eine noch unvollendete Arbeit in Form eines Krokodilkopfes. Sein mit bedrohlich scharfen Zähnen ausgestattetes Maul ist weit aufgerissen; bereits zugeschnittene Metallstücke liegen für dessen Fertigstellung parat. Zwei daneben abgestellte Pferdeskulpturen sind teilweise mit Spanngurten versehen und so allzeit bereit für einen Transport. Regentropfen fließen an ihren stählernen Leibern herab und lassen deren rötlichbraunen Farbton aufglänzen.

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Frau Meyer, wieso arbeiten Sie vorwiegend mit dem Werkstoff Stahl und wie verhält sich dieses Material im Entstehungsprozess Ihrer Arbeiten?

Mir gefällt, dass der Stahl so widerspenstig ist, einem etwas entgegensetzt und dadurch auch gleichzeitig mitarbeitet. Da man das Material nicht beliebig biegen kann, bestimmt es gewissermaßen die Form der Skulptur mit. Es ist mir nicht möglich, zum Beispiel eine aus Stahl geformte Wirbelsäule endlos lange zu biegen – es entstehen dabei Grenzen, auf die ich reagieren muss.

Ein anderer Grund besteht darin, dass mir oft gesagt wurde, dass man aus Stahl nicht so viel herausholen könne wie aus Stein oder Holz und es nie dieselbe Lebendigkeit haben würde. Das war für mich ein zusätzlicher Ansporn.

Sehen Sie den Stahl demnach als etwas Lebendiges an?

Durchaus. Das Material ist schon uralt und etwas, das die Menschheit schon lange begleitet sowie deren Entwicklung beeinflusst hat. Ich empfinde den Stahl als organisch und lebendig; durch die natürliche Witterung entwickelt sich das Material weiter und bildet eine einzigartige Färbung aus.

Ihr Arbeitsprozess – das freihändige Schmieden Ihrer Stahlarbeiten – ist ungewöhnlich. Können Sie Ihre Technik kurz erläutern?

Aus – meist gefundenen – Stahlplatten schneide ich einzelne Teile aus, fertige Schmiedeteile an und setze sie anschließend wie ein Puzzle zusammen. Das Schöne am Metall ist, dass ich etwas hinzufügen, aber auch jederzeit wieder abschneiden kann. Das ist anders als bei BildhauerInnen, die etwas aus Stein oder Holz herausarbeiten – wenn sie etwas weggenommen haben, ist es auch weg. Ich aber bin eine, die gerne aufbaut und es würde mir schwer fallen, von Anfang an die fertige Skulptur bereits vor Augen haben zu müssen.

Der Arbeitsprozess erfolgt insofern deutlich intuitiver. Die Arbeit selbst entsteht aus dem Prozess heraus und nicht auf der Grundlage eines bereits bestehenden Modells. Ich arbeite Stück für Stück und entscheide auch Stück für Stück, wie die Bewegungsrichtungen sind und was für eine Ausdehnung das Werk annehmen soll. Zum Teil höre ich auch bereits bei dem Kopf einer Figur auf oder ich entscheide mich dazu, eine riesige Skulpturengruppe daraus zu machen.

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Gemeinsam betreten wir den zweiten, im Inneren des alten Gebäudes gelegenen Teil von Dana Meyers Atelier, den sie sich mit einem Künstlerkollegen teilt. Sorgsam aufgereiht hängt ihr Werkzeug an den Wänden des kleinen Raums – Feilen und Zwingen, Sägen und Zangen, Hämmer und Schleifgeräte – alles ist an seinem Platz. Auf einem Arbeitstisch steht eine Sammlung von Einmachgläsern, in denen – obwohl sie künstlerische Objekte phantastischer Natur sind – täuschend echte Insekten umher zu krabbeln scheinen.

Inwiefern unterscheidet sich die Arbeitsweise Ihrer großformatigen Skulpturen von der Herstellung Ihrer kleinen Arbeiten, den Insekten der Südpazifikexpedition?

Rein technisch ist es so, dass die großen Skulpturen geschmiedet werden, also das Metall heiß gemacht wird. Bei den Insekten ist es hingegen eine sogenannte Kaltverformung. Das Metall lässt sich relativ leicht verbiegen und treiben und muss nicht zuerst erwärmt werden; es ist wesentlich filigraner. Ich kann viel mehr mit den Materialien – beispielsweise durch das Hinzufügen von Einmachgläsern – spielen und infolgedessen auch mit der Materialität, indem ich verschiedene Farben auftrage. Große farbige Stahlskulpturen kann ich mir einfach nicht vorstellen, im Kleinen funktioniert das jedoch gut.

Wie kamen Sie auf die Idee für Ihre Südpazifikexpedition eine fiktive Reise zu erschaffen? Wovon haben Sie sich inspirieren lassen?

Es ist eine Art Humboldt’scher Gedanke: das Bedürfnis der Menschen Dinge zu sammeln, einzuordnen und zu verstehen. Bei der Südpazifikexpedition wird das Verlangen der Menschen, die Grenzen der Welt zu überschreiten, dargestellt.

Als spannend empfinde ich außerdem die Nasssamlungen der Naturkundemuseen. Gleichzeitig ist man fasziniert, aber es herrscht auch Ekel. Da einen das Glas zugleich vor seinem Inhalt beschützt, kann man ihn sich gefahrlos ansehen. Ich selbst werde bei der Südpazifikexpedition zu einer Person, die diese Reise macht und von der Faszination der Insekten sowie der Lust am Sammeln ergriffen wird. Im Mittelpunkt steht der Forscher- und Wissensdrang, das Bestreben zu kategorisieren und zu präsentieren.

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Wir fahren in ein kleines Dorf, das eine halbe Stunde von Leipzig entfernt liegt. Stille empfängt uns, als wir das großflächige Gelände erreichen, auf welchem Dana Meyer ihre fertiggestellten Kunstwerke verwahrt beziehungsweise einlagert. Auf einer Rasenfläche steht ein halbes Dutzend ihrer großformatigen Arbeiten. Wie ein verwunschener Skulpturengarten im Nirgendwo mutet der Anblick an. Unter anderem ist der Caretaker zu sehen: aufmerksam, so scheint es, taxiert der stählerne Wachhund seine Umgebung, als wäre er darauf bedacht sein Territorium zu beschützen. Mensch trägt Pferd ragt vor einer ausladenden Eibe empor und das Liegende Pferd komplettiert die surreal wirkende Zusammenstellung.

Die Tierplastik steht im Mittelpunkt Ihres Œuvres. Gab es konkrete Impulse, welche Sie dazu inspirierten, sich dem Tier als primärem Darstellungsgegenstand zu widmen?

In erster Linie verwende ich die Tiere als Metaphern beziehungsweise Allegorien. Ich habe den Eindruck, dass Tiercharakteristika konzentrierter zur Geltung kommen können, als wenn ich beispielsweise einen Menschen bei einer ängstlichen Flucht darstellen möchte. Eine formale Herausforderung besteht allerdings in den unterschiedlichen Proportionsverhältnissen von Tieren, während die Proportionen von Menschen hingegen im Großen und Ganzen immer die gleichen sind. Volle Konzentration kann ich wiederum beim Tier auf bestimmte Merkmale legen, beispielsweise auf das Maul oder den Oberkörper, und dafür zulassen, dass ich vielleicht eine Pfote oder einen Huf als bloße Andeutung belasse.

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Lächelnd erzählt uns Dana Meyer, dass es in den Frühlingsmonaten in ihrer grünen Idylle bereits vorgekommen ist, dass sich Vögel im Inneren der Skulpturen eingenistet haben. Nachdem wir die im Außenraum stehenden Arbeiten ausgiebig betrachtet haben, betreten wir ihren zweiten Lagerort: einen ehemaligen Tanzsaal. Der Boden des länglichen Backsteingebäudes ist mit knarzendem Fischgrät-Parkett ausgelegt. Große aus Stahl gefertigte Tierfelle lehnen an der Wand, auf der Fragmente von Freskomalereien aus früheren Zeiten vorhanden sind. In der Mitte tummeln sich vergnügt die skulpturalen Schweine der Künstlerin. Einen in Luftpolsterfolie eingewickelten „Hirschkopf“ enthüllt Dana Meyer behutsam für uns.

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie keine Skizzen anfertigen. Wie genau kann man sich den beginnenden, den anfänglichen Entstehungsprozess einer Arbeit vorstellen? Ist in Ihrer Vorstellung zuerst das Tier da oder zum Beispiel nur die Vorstellung von Weichheit, so wie bei Ihren Schweinen?

Also das ist sehr unterschiedlich. Wenn man jetzt bei der Weichheit der Schweine bleibt, war da schon das Bedürfnis, dem Stahl etwas Weiches zu geben und die Muskeln im Vergleich zu den anderen Tierplastiken wie etwa den Pferden wieder zurückzunehmen. Ich hatte den Wunsch, diesen kalten und stählernen Körpern etwas entgegenzusetzten. Der nächste Schritt dabei den Stahl etwas auszutesten, bestand in dem Zarten und Filigranen meiner Skulpturengruppe der Antilopen1, wodurch ich ihnen auch das Kräftige nehmen konnte, wie es bei den Schweinen dann durchaus in der Masse geschieht.

Ihre Tierplastiken treten auch in Kombination mit menschlichen Figuren auf. Dabei geht es unter anderem um Verfahren der Domestizierung oder Verhältnisse der Dominanz. Inwiefern wird das Thema der Macht in Ihren Arbeiten konkret versinnbildlicht?

Wenn man sich allgemein mit den Dingen, die einem im Leben begegnen, beschäftigt, läuft es immer auf denselben Punkt hinaus: die auftretenden Probleme entstehen durch Machtbedürfnisse von anderen Menschen. Sie sind sozusagen Insignien der Macht Anderer. Und dann gibt es noch verschiedene Dialektiken der Macht ebenso wie unterschiedliche Verhältnisse von Täter und Opfer. In meinem Werk sind Aspekte der Macht enthalten – beispielsweise bei Mensch trägt Pferd. Das betrifft die menschliche Macht über das Pferd, das gezügelt und trainiert wird. So ein Pferd ist groß, kräftig und schnell – es zu beherrschen, ist eine Aussage von Macht. Das Zaumzeug, wie es in meiner Skulptur Scheuklappen zu sehen ist, wird zudem als Begrifflichkeit von Macht verwendet – man „legt jemandem das Zaumzeug an“ oder „jemand wird in Zaum gehalten“. Auch bei der Jagd wird der Machtanspruch zum Ausdruck gebracht, wie durch die Hetze oder in Trophäensammlungen. Der Akt des Tötens ist dabei ebenso ein Akt der Machtausübung.

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Als wir unseren Rundgang beendet haben, beschließen wir in ein nahegelegenes Café zu fahren, um dort die noch letzten offenen Fragen zu klären. Eine wärmende Tasse Kaffee beziehungsweise Tee in den Händen haltend schließen wir die Klammer zu den Anfängen der Kunst in Dana Meyers Œuvre und sprechen sie auf ihre frühesten Arbeiten an.

Sind Sie bereits während Ihres Studiums zu den Tierdarstellungen gekommen und hatten Sie dafür künstlerische Vorbilder?

Nicht direkt, doch das Bedürfnis diese als Metaphern zum Ausdruck übergeordneter Themen einzusetzen, war bereits im Studium vorhanden. Vielleicht war das auch ein Entwicklungsweg, da ich dort viele Naturstudien gemacht habe. Als erstes habe ich, glaube ich, eine Pferdeskulptur gemacht. Damals bin ich oft an Koppeln vorbeigefahren, vielleicht hat das bei mir einen unbewussten Eindruck hinterlassen.

Vor Ihrem Studium der Bildhauerei an der Burg Giebichenstein in Halle an der Saale haben Sie ein Studium der Geschichte, Literatur- und Kulturwissenschaft an der TU Chemnitz begonnen. Wie kam es zu dieser Umorientierung vom geisteswissenschaftlichen zum künstlerischen Fach?

Nach meinem Abitur fühlte ich mich etwas desorientiert, was mit der allgemein herrschenden Erwartungshaltung, nach dem Schulabschluss ein Studium aufnehmen zu müssen, einherging. Während meines Studiums kam bei mir verstärkt die Tendenz auf, ins Handwerkliche zu gehen; eher zufällig bin ich dann zu meinem Kunststudium gelangt. Ich glaube ein Stück weit ist das Studium der Geisteswissenschaften auch geblieben, da ich während des Entstehungsprozesses meiner Arbeiten stets versuche, mich inhaltlich zu informieren und das vorhandene Wissen aufzunehmen. Bei mir besteht das Bedürfnis, mich zusätzlich zu belesen, Hintergrundwissen zu sammeln oder mich mit Anekdoten aus diesem Bereich zu beschäftigen. Im Nachhinein bin ich ganz froh über meine Erfahrungen im geisteswissenschaftlichen Bereich, denn vielleicht wäre mir das reine Handwerk auch wieder zu wenig gewesen. Das Schöne an der Kunst ist, dass man beides – die künstlerische Praxis und den theoretischen Anspruch – miteinander verbinden kann.


1 die Schlucht ist eine 2016 entstandene Skulpturengruppe aus Stahl, bei der insgesamt fünf Antilopen auf der Flucht dargestellt sind. Ihre Körperhaltung entspricht einer jäh abgebremsten Bewegung, was durch die titelgebende, plötzlich vor ihnen auftauchende Schlucht evoziert sein könnte.

Über die Autorinnen

Paula Maß

Kuratorin Frommanscher Skulpturengarten Jena Projekt Prof, Dr. Verena Krieger Lehrstuhl für Kunstgeschichte Friedrich-Schiller-Universität Jena

Herausgeberin Puplikation „Animal Crossing“ des Jenaer Kunstvereins

Judit Rönsch

Kuratorin Frommanscher Skulpturengarten Jena Projekt Prof, Dr. Verena Krieger Lehrstuhl für Kunstgeschichte Friedrich-Schiller-Universität Jena

Requisiteurin Thüringer Landes Theater

Louise Schmidt

Kuratorin Frommanscher Skulpturengarten Jena Projekt Prof, Dr. Verena Krieger Lehrstuhl für Kunstgeschichte Friedrich-Schiller-Universität Jena

Herausgeberin Puplikation „Animal Crossing“ des Jenaer Kunstverein

„Animal Crossing“ Puplikation Jenaer Kunstverein (Pdf)