Lebendiger Stahl – Ulrike Lade

Gedanken zur Materialästhetik Dana Meyer

Kein Kunstwerk ist unbedingt, wenn es auch der größte und geübteste Künstler verfertigt: er mag sich noch so sehr zum Herrn der Materie machen, in welcher er arbeitet, so kann er doch ihre Natur nicht verändern. Er kann also nur in einem gewissen Sinne und unter einer gewissen Bedingung das hervorbringen, was er im Sinne hat, und es wird derjenige Künstler in seiner Art immer der trefflichste sein, dessen Erfindungs- und Einbildungskraft sich gleichsam unmittelbar mit der Materie verbindet, in welcher er zu arbeiten hat.1

Johann Wolfgang Goethes Beschreibung des Verhältnisses von Künstler und Material aus Material der bildenden Kunst lässt sich – 230 Jahre nach ihrer Entstehung – auf das künstlerische Schaffen von Dana Meyer übertragen, die ihre Skulpturen aus überwiegend gefundenem Stahlblech fertigt. Denn die „Natur“ dieses Metalls kann die Künstlerin nicht verändern: Die Eigenschaften des Materials sowie ihr eigener Körper geben die Grenzen der Bearbeitungsmethode und der gestalterischen Möglichkeiten vor. Doch gerade die Widerspenstigkeit des Stahls und die Herausforderung mit diesem zu arbeiten, machen laut Meyer die Freude ihres Schaffens und die Schönheit ihrer Kunstwerke aus.2 Für die Konstruktion der Skulpturen aus dem Stahl braucht es künstlerische Beharrlichkeit, Kenntnisse über das Material sowie eine gute Vorstellungskraft, um die Figuren vor dem beziehungsweise durch das innere Auge entstehen zu lassen.

Die ersten Schritte im Entwicklungsprozess der Skulpturen bestehen aus dem Vorzeichnen einzelner Teile auf das Blech und deren darauffolgendes Heraustrennen mit Hilfe des Schneidbrenners.3 Als Nächstes werden die Metallstücke von Hand geschmiedet, also durch stetige Bearbeitung mit dem Hammer in die gewünschte Form gebracht – dabei erleichtert das Erhitzen der Fragmente den Bearbeitungsprozess. Während des Schmiedens und je nach Formgebung der einzelnen Teile ergibt sich oft erst deren zukünftige „Bestimmung“ als Körperteil oder anderes Element einer Figur. So schmiedet Dana Meyer sämtliche Einzelteile für ihre Figuren freihändig, um diese im Anschluss mit dem Schneidbrenner zu einem Werk zusammenzusetzen. Dieser Arbeitsprozess bietet der Künstlerin die Möglichkeit, weitere Elemente auf der Skulptur anzubringen oder andere wieder abzulösen. Somit kann sie im Verlauf der Werkschaffung auf ideelle Veränderungen in der Gesamtkonstruktion reagieren sowie die Dimensionen und Proportionen der entstehenden Skulptur entsprechend anpassen.

Einige dieser spannungsvollen Arbeiten sind jetzt im Frommannschen Skulpturen Garten zu sehen: Der Caretaker empfängt die BesucherInnen beim Eintreten in den Garten, Mensch trägt Pferd imponiert durch die darin repräsentierte Stärke und die Schweine strahlen wiederum Heiterkeit und Leichtigkeit aus. Allesamt fügen sie sich auf angenehme Weise in den Garten ein. Die von der Künstlerin beabsichtigte witterungsbedingte Patina gibt den stählernen Figuren einen Eindruck von „Natürlichkeit“: Ihre Oberflächen haben kaum glänzende und polierte Stellen, sondern sind vor allem rau und „naturbelassen“. Diese lassen Meyers skulpturale Lebewesen natürlich und lebendig aussehen. Mit ihrer rostigen braunen Oberfläche integrieren sie sich auch vermeintlich gefällig in das Grün des Gartens.

Die Gestalten wirken auf den ersten Blick in sich geschlossen und homogen. Erst danach bemerken die aufmerksamen Betrachtenden, dass die Skulpturen aus einzelnen Fragmenten zusammengesetzt worden sind. Schaut man noch genauer hin, so erkennt man die eigenwillige Dynamik der Figuren. Die einzelnen Stücke ergeben das Zusammenspiel einer tierischen Muskulatur und erzeugen so den Eindruck von Bewegung. Dana Meyer verleiht ihren Skulpturen dadurch eine Leichtigkeit, die einen ausgeprägten Gegensatz zum harten und schweren Stahlblech bildet. Die Betrachtenden sehen, wie der Mann in Mensch trägt Pferd unter der Last des Tieres in die Knie geht und dieses nur unter großen Anstrengungen zu tragen vermag. Dessen gekrümmte Beine, der zum nächsten Schritt ansetzende, angehobene Fuß und die einzelnen, die Beine wie Muskelstränge formenden Stahlstücke sowie die querverlaufenden „Bauchmuskeln“lassen es aussehen, als wäre der Mensch in einer Vorwärtsbewegung. Den Schweinen verleiht diese Dynamisierung des Materials hingegen trotz ihrer massigen Körper eine gewisse Leichtigkeit, während sie spielen, umhertollen und – so scheint es – ihr Leben genießen. Im Gegensatz zu den anderen im Frommannschen Garten ausgestellten Skulpturen weisen ihre Oberflächen einen Glanz auf, den die Künstlerin durch das Auftragen von Öl auf ihre rostigen Leiber erzeugt hat. Dies ist eine nur kleine Veränderung mit großer Wirkung, denn dadurch wirken sie weicher und anziehender.

Dana Meyers Arbeit mit der Härte und Rohheit des Stahls resultiert in lebendig wirkenden Tierskulpturen. Sie arbeitet mit der Widerspenstigkeit des Materials, bringt es an seine Grenzen und schafft so dynamische, in ihren Bewegungen natürlich aussehende Skulpturen. So verbindet die Künstlerin in ihrem Schaffen ganz in Goethes Sinn ihre „Erfindungs- und Einbildungskraft […] mit der Materie“ und bringt dadurch metallene Lebewesen mit einer ganz eigenen Ästhetik hervor: Fragmentierte Körperteile mit rauen, verwitterten Oberflächen aus einst widerspenstigem Stahlblech werden zu herumtollenden Schweinen, einem zähnefletschenden Wachhund oder einem starken Mann, der ein Pferd trägt.


1 GOETHE, Johann Wolfgang von: Material der bildenden Kunst (1788), in: LÖHNEYSEN, Wolfgang von (Hrsg.): Johann Wolfgang von Goethe. Gesamtausgabe der Werke und Schriften in zweiundzwanzig Bänden, Bd. 16: Schriften zur Kunst, Stuttgart 1961, S. 665.

2 Alle im Text genannten Aussagen der Künstlerin basieren auf persönlichen Gesprächen der Autorin mit Dana Meyer am 03. März 2020.

3 Einen Eindruck von der Arbeitsweise der Künstlerin verschafft eine Reportage des MDR, die online zugänglich ist. Vgl. MDR-Kultur – Nächste Generation. Dana Meyer: Die Stahlkünstlerin: https://reportage.mdr.de/dana-meyer-naechste-generation#10863 (letzter Abruf am 14. April 2020).

Über die Autorin

Ulrike Lade

Kuratorin Frommanscher Skulpturengarten Jena Projekt Prof, Dr. Verena Krieger Lehrstuhl für Kunstgeschichte Friedrich-Schiller-Universität Jena

studentische Hilfskraft Lehrstuhl für Kunstgeschichte Friedrich-Schiller-Universität, Dr. Verena Krieger, Jena

Herausgeberin Puplikation des Jenaer Kunstverein

„Animal Crossing“ Puplikation Jenaer Kunstverein (Pdf)

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