Katalogtext für DANA MEYER SKULPTUREN/SCULPTURES, Kerber Verlag
Dana Meyers Skulpturen zeichnen sich durch hohe Spannung, kraftvolle Dynamik und anatomische Präzision aus. Sie stellen Tiere und Menschen dar, einzeln, in Gruppen, zuweilen in Fragmenten. Meyers Arbeiten sind realistisch und expressiv, eindringlich in der Aussage, teils metaphorisch wirkend, teils porträthaft.
Dana Meyer schmiedet ihre Skulpturen – genauer: Plastiken – freihändig aus Stahl. Sie verzichtet auf die Anfertigung plastischer Entwürfe. Diese virtuose Methode erfordert neben außergewöhnlichem räumlichen Vorstellungsvermögen hohes handwerkliches Können.
Zwischen menschlichen und tierischen Figuren erkennt Dana Meyer eine „Leibverwandschaft“, welche die Grenzen zum Tierreich aufhebt. Die Künstlerin schreibt: „In Allegorien und Metaphern erkennen Menschen sich als Tiere mit deren Eigenheiten, Wesensarten und Archetypen. Das Ineinander und Zugleichsein von Erlebten in diesen Bildwelten ist unmittel- barer. Die Figur greift damit auf etwas Erfühltes und ein individuelle Reminiszenz zurück und wird so in ihren dargestelltem Charakter zu etwas Vertrautem.“
Einzeln geschmiedete Segmente verschweißt die Künstlerin zu Figuren. Den Zwischenräumen und offenen Volumina mißt sie ebenso viel Bedeutung zu wie den stählernen Partien. Alle gemeinsam bilden die Skulptur und ihr wahrzunehmendes Kraftfeld.
Das Prinzip des unsichtbaren Kraftfeldes setzt Dana Meyer bereits in ihrer ersten großen Komposition wirkungsvoll ein, den 2011 als Diplomarbeit entstandenen „Eisläufern“: Eine fast lebensgroße Gruppe, einen Mann und vier Hundegestalten darstellend, zieht eine unsichtbare Last, wohl einen Schlitten. Obwohl nicht bildlich präsent, ist das Gefährt der logische Ankerpunkt der gesamten Komposition.
Schon in dieser frühen Skulpturengruppe formuliert Dana Meyer eine weitreichende ideologische
Position. Sie entzieht dem Menschen, welchen sie ohne Gesicht abbildet, die Protagonistenrolle und stellt ihn mit den Zugtieren auf die gleiche Stufe. Sie entwirft eine neue Hierarchie, in welcher Homo Sapiens seinen Platz an der Spitze abgibt.
Den Akt des Verzichts auf die „Krone der Schöpfung“ setzt die Künstlerin 2013 mit der Figur „Der aufsässige Aaron“ ins Bild. Aaron tauscht sein Haupt gegen einen Stierkopf. Er distanziert sich gleichsam von seiner Menschennatur und vollzieht einen Akt der Verschmelzung mit dem Kreatürlichen. Die 2013 fertiggestellte Gruppe „Schweine“ rollt die gleiche Idee vom anderen Ende auf. Die Tiere der Rotte erweisen sich als neugierige Individualisten mit menschlich wirkenden Vorlieben und Lastern.
Eine noch radikalere Aussage postuliert die Künstlerin in der 2014 fertiggestellten „Fuchsjagd“. Zwei Wölfe oder Wolfshunde greifen eine ebenfalls gesichtslose Menschengestalt an. Der Mensch strauchelt, der Ausgang der Jagd und sein Schicksal als Beute sind unzweifelhaft. Im gleichen Jahr vollendet Dana Meyer „Mensch trägt Pferd“, eine Figurengruppe, die ihre Ansichten weniger aggressiv, aber ebenso anschaulich demonstriert.
Die Schlucht“ (2016) vervollkommnet den Ansatz des „Eisläufers“ und thematisiert das Unsichtbare auf eindrucksvolle Weise. Eine Gruppe aus fünf meisterhaft gearbeiteten Antilopenfiguren von lebendiger Dynamik steht für eine Herde auf der Flucht, die auf einen Abgrund stößt. Die vorderen Tiere scheuen, die hinteren drängen nach. Die Skulpturengruppe befindet sich seit 2019 im Skulpturenpark Eschborn.
2017 nahm Dana Meyer unter dem Titel „It’s Me“ eine Folge von Primatenportraits in Angriff. Ausgangspunkt waren Erkenntnisse zu Ich-Bewußtsein und Metakognition bei Tieren. Paradoxerweise entfernt die Serie sich weiter von naturalistischer Darstellung als alle bisherigen; große Partien der Portraits formieren sich zu abstrakten Segmenten aus gewölbter Fläche und Raum, Schatten und Licht. Erstaunlicherweise gelingt es der Künstlerin auf genau diesem Wege, den Eindruck einer sehr lebendigen, einer bewußten Präsenz zu erzielen.
Im folgenden Jahr enstand die Figur des „Arapides“. Sie bezieht sich auf den Brauch der Vertreibung der „Kallikantzaroi“, der Mittwintergeister, in dem griechischen Ort Volakas. Die Arapidendarsteller verwandeln sich mittels Schaffellen und anderem Mummenschanz in tierähnliche Wesen und schwärzen ihre Gesichter, legen de facto ihre menschliche Identität beiseite, indem sie Körper und Mimik verbergen. Dana Meyers Arapides ist anders. Eine schlanke und muskulöse Figur steht, den Oberkörper nach links gedreht, in sehr labilem Gleichgewicht schräg auf dem linken Bein. Statt des Kopfes trägt sie einen Tubus. Den Kontext dieser Figur legt Dana Meyer bisher nur ansatzweise offen. Dass die Künstlerin mit künftig Schlüssel zur Deutung liefert, und zwar ähnlich, wie auch die Grammatik ihrer bisherigen Arbeiten sich stufenweise erschloß, ist angesichts ihrer konsequenten Arbeitsweise gut möglich.
Vor ihrer Ausbildung an der Burg Giebichenstein studierte Dana Meyer Geschichte, Literatur- und
Kulturwissenschaft. Kleine Publikationen zeugen ebenso von ihrem Sprach- und Wortwitz wie die Titel vieler ihrer Werke. Sprache begreift sie als Koordinatensystem zur Orientierung und Positionierung in Geschichte und Gesellschaft und spielt virtuos mit ihren assoziativen Möglichkeiten.
Ein anschauliches Beispiel dieser gattungsübergreifenden Fusion liefert Dana Meyers „Südpazifikexpedition“, eine in den letzten sechs Jahren entstandene (und sich weiter vermehrende) Gruppe kleiner Metallplastiken. Es handelt sich um Darstellungen von Phantasieinsekten, angeblich zwischen 1906 und 1910 bei einer fiktiven Südpazifikexpedition gefangen und in antiquierten Weckgläsern verwahrt. Die Namen der „entdeckten“ Krabbeltiere sind zunächst beschaulich wie die Reiseliteratur der Zeit, („Weiße Doppel-Trompetenmücke“), aber umgehend wird es absurd („Diabolische Pillenwespe“) und grotesk („Buckliger Marktsauger“). Beigefügte lateinische Bezeichnungen und penible Gattungszuordnungen schaffen ein scheinbar wissenschaftliches Umfeld. Die Fundorte und Jahreszahlen („Sulavesi Utara, 1906“, „Ona Liau, 1907“) verweisen auf entlegene Orte und unerreichbare Zeiten. Von Bildhauerei und Literatur erzeugt, entsteht eine sagenhaft komplexe Traum- und Vorstellungswelt.
Über den Autor
Dr. Jörk Rothamel
Kunsthistoriker und Kunstkritiker
galerie@rothamel.de
www.rothamel.de