Ungewöhnliche Inszenierungsstrategien – Ansätze zu einer ideen- und kunstgeschichtlichen Einordnung von Dana Meyers Pferdeskulpturen
Fragt man nach der Wiederkehr und dem Stellenwert bestimmter Tierarten in den bildenden Künsten, dann zählt das Pferd zweifelsohne bis heute zu einem der beliebtesten Motive. Diese Beliebtheit manifestiert sich bereits in den frühesten Tierdarstellungen: den Höhlenmalereien des prähistorischen Menschen, welche neben Bären, Nashörnern oder Raubkatzen auch einige Verbildlichungen von Pferden offenbaren.1 Die heutzutage wohl populärsten Pferdemalereien – mit Blick auf das kunstinteressierte Bildungsbürgertum – gehen auf den expressionistischen Künstler Franz Marc zurück, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Gemälde schuf, welche von blauen Pferden dominiert werden.2 Marc und sein Malerkollege Wassily Kandinsky erhoben zudem eine blaufarbene Pferd-Reiter-Darstellung zum mythisch aufgeladenen Sinnbild sowie programmatischen Leitmotiv ihres Künstlerverbundes Blauer Reiter.3 Die bekannteste und öffentlichkeitswirksamste Form der Reiterdarstellung gründet sich jedoch im Medium der Bildhauerei: im klassischen Reiter- beziehungsweise Herrscherstandbild, dessen Ursprünge im antiken Griechenland liegen. Insofern äußert sich der künstlerische Beliebtheitsgrad des Pferdes nicht zuletzt in seiner instrumentalisierten Funktion als herrschaftsikonographisches Motiv.4
Auch im bildhauerischen Schaffen der zeitgenössischen Künstlerin Dana Meyer schlägt sich die Affinität für das Pferd als Motiv sowie Gegenstand wiederholt nieder. Neben skulpturalen Pferdebüsten wie der Arbeit Scheuklappen (2018) setzt sich die Bildhauerin mehrfach mit der Darstellung des Pferdes in seiner ganzkörperlichen Erscheinung auseinander. Gleich zwei dieser großformatigen Auseinandersetzungen werden im Rahmen der diesjährigen Ausstellung – neben Schweinen und Hund, welche derselben formalen Stahlästhetik sowie dem der Künstlerin charakteristischen Herstellungsverfahren entsprechen – präsentiert. Das Liegende Pferd (2010) weist noch die Verwendung von Armierungseisen auf, welche als eine Art Gerippe des Pferdekörpers fungieren und besonders sichtbar im Hals- und hinteren Beinbereich sind. Nach Angaben der Künstlerin kennzeichnet der Einsatz dieses Eisens ältere Skulpturen.5 Die jüngere Arbeit Mensch trägt Pferd (2014) unterscheidet sich jedoch in einem noch viel grundlegenderen Punkt von der erstgenannten Pferdeskulptur und damit gleichzeitig auch von den anderen in Jena ausgestellten Tierbildwerken. Bereits der Werktitel verweist darauf: Der kräftige Korpus des Pferdes wird von einem, durch das unübersehbar ausgearbeitete Geschlechtsorgan als männlich charakterisierten und ebenfalls muskulösen Menschenkörper getragen. Hingegen bleibt der Anblick eines menschlichen Kopfes aus, ein solcher wird vielmehr – ausgehend von einer frontalen Ansicht der Skulptur – durch den voluminösen Pferdekopf negiert. Auch bei der Betrachtung aus anderen Perspektiven fehlt ein menschlicher Kopf, wodurch insgesamt der Eindruck eines Mischwesens entsteht. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die gleichartige Materialästhetik von Mensch und Tier.
Körperlich ineinander verschmelzende Mensch-Pferd-Wesen erwecken Assoziationen an die Kentauren der griechischen Mythologie. Im 19. Jahrhundert erfährt dieses mythologische Sujet insbesondere im Werk des Künstlers Arnold Böcklin vielzählige Verbildlichung wie etwa in Kentaur in der Dorfschmiede. (Abb. 1) Die Gestalt des Kentauren zeichnet sich durch einen männlichen Kopf sowie Oberkörper aus. Auf Bauchnabelhöhe geht der menschliche Körper in einen gescheckten Pferdekorpus über. Nicht nur in diesem Gemälde, sondern ebenso in den meisten künstlerischen Darstellungen wird der Kentaur als ein männliches und kräftiges Geschöpf wiedergegeben.6 Diese Form von Maskulinität manifestiert sich auch in der Meyer’schen Skulptur. Vollends reiht sich diese jedoch nicht in das mythologische Bild ein. Denn das Pferd, dessen vier teils angewinkelte Beine deutlich sichtbar sind, wird im Gegensatz zum fragmentarischen Menschen als eine ganzkörperliche, physisch autonome Kreatur inszeniert.
Nicht nur das augenscheinliche Verwachsen von Pferd und Mensch und die unvollständige Wiedergabe des Menschenkörpers beziehungsweise Mannes desorientieren den Blick. Noch befremdlicher ist die Tatsache, dass nicht das Pferd, welches den Menschen sowohl in Größe als auch Gewicht dominiert, eben diesen auf seinem Rücken trägt, sondern selbst vom menschlichen Körper huckepack-artig durch die Gegend gewuchtet wird. Auch der Anblick des Liegenden Pferdes entzieht sich der gewohnten Seherfahrung – für gewöhnlich „liegen“ oder gar schlafen Pferde nicht auf ihrem Rücken, sondern höchstens in Brustlage oder auf der Seite. Meyer entfremdet ihre Pferde damit auch gleichermaßen von ihrem originären Wesen wie von ihrer Funktion als tendenziell vital galoppierende und reitbare Tiere. Beide Skulpturen haben somit gemein, dass sie das Pferd weder in seinen natürlichen Körperhaltungen, noch in seinen gesellschaftlich konventionellen Positionen präsentieren.
Wie lassen sich diese ungewöhnlichen Inszenierungsstrategien von Dana Meyer verstehen? Um diese Frage zu beantworten, ist es lohnenswert, einen kurzgefassten Blick auf die gesellschaftliche Rolle des Pferdes und die Mensch-Pferd-Beziehung im Allgemeinen zu werfen, die sich im Laufe der Geschichte verändert haben. Diese Veränderung spiegelt sich wiederum mehrheitlich in den epochenspezifischen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Motiv des Pferdes wider.7 Im Wesentlichen sind es zwei gesellschaftlich-kulturelle Zäsuren, welche die Rolle sowie Funktion des Pferdes gegenüber dem Menschen grundlegend beeinflusst haben: dessen bereits weit zurückliegende Domestizierung seit circa dem 3. Jahrtausend v. Chr. sowie der industrielle Technologieschub in der westlichen Moderne im frühen 20. Jahrhundert. In der dazwischen liegenden Zeitspanne fungierte das Pferd als ein existenziell notwendiger Bestandteil der alltäglichen Erfahrungswelt des Menschen: als unabdingbares Fortbewegungsmittel, als Arbeits- und Transporttier und nicht zuletzt als Militär- beziehungsweise Kriegsdienstleister.8
Im Hinblick auf die letztgenannte Funktion lassen sich zahlreiche künstlerische Darstellungsbeispiele anführen, welche das stürzende, das gefallene oder gar getötete Pferd – auch ohne Reiter – im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen inszenieren.9 Betrachtet man nun die ältere Meyer’sche Pferdeskulptur – das Pferd, welches auf seinem Rücken liegt und alle Viere, teils in Krümmung von sich gestreckt hat – dann könnte dessen Erscheinung im Sinne eines „gefallenen“ Tieres an die Pferdedarstellungen der Schlachtenmalereien erinnern. Das Gefühl eines nicht-vitalen Tieres wird durch die morbide Material-Ästhetik der Skulptur unterstrichen. Zum einen hat das Zusammenspiel der einzeln zusammengefügten Stahlplatten sowie Armierungseisen den Charakter eines Skelettes, zum anderen erweckt die rot-bräunliche Färbung des gerosteten Metalls Assoziationen an Blut. Beide Wahrnehmungsaspekte stellen insofern die Vorstellung eines lebendigen oder gar gesunden Tieres in Frage. In Anbetracht dieser Inszenierung, welche auf eine Passivität aufgrund von Unfähigkeit, Leid oder Verletzung des Tieres hindeutet, wäre es allzu verführerisch, ein narratives Moment zwischen dem Liegenden Pferd und Mensch trägt Pferd zu vermuten: etwa eine Erzählung vom leidenden, vom verletzten Pferd, das sodann vom Menschen getragen werden muss.
Dana Meyer betont allerdings, dass keine konkret intendierte erzählerische Verbindung zwischen den beiden Pferdeskulpturen besteht. Vielmehr verweist die Künstlerin im Hinblick auf Mensch trägt Pferd darauf, dass diese Arbeit an den klassischen Topos des Reiterstandbildes anknüpft. Diese bereits einleitend erwähnte, prominenteste Form der Pferdeskulptur erfüllt die Funktion eines monumentalen Denkmals im öffentlichen Raum. Reiterstandbilder wurden bis in das späte 19. Jahrhundert primär zu Ehren einer siegreichen Leistung oder zur Repräsentation eines spezifischen Helden beziehungsweise Herrschers errichtet. Äußerst bekannt sowie prägend für nachfolgende Reiterstandbilder – insbesondere in der Hochphase dieses skulpturalen Typus im 17. Jahrhundert – ist das antike, ursprünglich vergoldete Standbild des Marc Aurel auf dem Kapitolsplatz in Rom.10 (Abb. 2) Der römische Kaiser mit siegreichem Armgestus sitzt mittig auf einem mit zahlreich geschmücktem Geschirr versehenen schreitenden und kräftigen Pferd. Meyers Mensch trägt Pferd unterscheidet sich davon nicht nur in dem offensichtlichen Faktum einer verdrehten Mensch-Pferd-Positionierung: Die Künstlerin verfolgt weder denkmalhafte Ambitionen mit ihrer monumentalen Stahlskulptur, noch wird ein männliches Sieger- oder Herrscherindividuum – bei dem klassischen Reiterstandbild handelt es sich größtenteils um „genderästhetische Demonstrationen männlicher Macht“11 – portraitiert. Auch das Verwenden eines „unedleren“ Metalls, dessen Zustand zudem reichlich durch Verrostung geprägt ist, weicht von den wertvollen Materialen klassischer Reiterdenkmäler wie vergoldeter oder polierter Bronze und Marmor ab.
Gemein haben das klassische Reiterstandbild und Meyers Mensch trägt Pferd allerdings – neben der Männlichkeit des Protagonisten, die in der Meyer’schen Skulptur im explizit dargestellten Geschlechtsorgan als eine subtile Anspielung auf die traditionell männliche Reiterstandbild-Domäne gelesen werden kann – die skulpturale Repräsentation von Machtverhältnissen: Im Reiterstandbild wird die Mächtigkeit des Herrschers gegenüber dem Volk inszeniert und legitimiert.12 Dana Meyer folgend kommt in Mensch trägt Pferd hingegen sinnbildlich die menschliche Macht gegenüber dem Pferd zum Vorschein. Die Beherrschung dessen originärer Wildheit, dessen Stärke sowie Kraft13 seien als ein Zeichen menschlicher Macht gegenüber dem Tier zu verstehen, welche sich insbesondere im – heutzutage meist nicht mehr existenziell notwendigen – Reiten, Trainieren sowie Zügeln des Pferdes äußert.
Mit ihrer sinnbildhaften Anschauung knüpft die Künstlerin darüber hinaus an das aktuell vorherrschende Pferdebild an: einem Pferd, welches erstrangig in der westlichen Freizeit- beziehungsweise Hobbykultur verortet ist sowie nach dem Meyer’schen Verständnis den Stellenwert eines Luxusgutes aufweist. Eben dieses Luxusgut wird seitens des entindividualisierten Menschens in Mensch trägt Pferd hochpositioniert und plakativ präsentiert. Ebenfalls ließe sich das Liegende Pferd derartig deuten: Es besteht keine gesellschaftliche Notwendigkeit, dass das Tier sich fortbewegt und dem Menschen weiterhin Dienste leistet. Es kann daher ungestört „liegen“. Die als eine Art Skulpturen-Sockel fungierende Liegefläche des Tieres kommt in Anbetracht dessen als ein regelrechter „Präsentationsteller“ daher und Dana Meyer inszeniert das Liegende Pferd für die Betrachtenden somit offensichtlich auch als künstlerische „Luxusware“. Nach dieser Lesart entsprechen sowohl das Liegende Pferd als auch Mensch trägt Pferd kritisch-ironischen Sinnbildern oder skulpturalen Kommentaren zum gegenwärtigen (westlichen) Gesellschaftsbild einer Wohlstands- sowie Konsumkultur.
Abschließend zusammenfassen lässt sich, dass die Meyer’schen Pferdeskulpturen an klassisch tradierte Darstellungstopoi erinnern oder gar explizit daran anknüpfen; diese werden jedoch kritisch-ironisch hinterfragt sowie einer zeitgemäßen Aktualisierung unterzogen.14 Dadurch eröffnet die Künstlerin mehrdeutige Assoziationsräume, welche die herkömmliche Seherfahrung auf das Pferd durchbrechen, den Blick der Betrachtenden fasziniert fesseln sowie auf vielfältige Weise irritieren. Insgesamt geht es Dana Meyer aber nicht um das Pferd als solches, sondern vielmehr darum, mit dessen bildhauerischer Darstellung andere Sachverhalte – wie in diesem Fall vor allem Machtverhältnisse – zur Anschauung zu bringen.
Weshalb ist es dennoch genau das Motiv des Pferdes, welches mehrfach das bildhauerische Œuvre der Künstlerin durchzieht? Dessen Beliebtheit gründet sich nicht zuletzt in der einzigartigen formal-ästhetischen Beschaffenheit des Tieres: Sowohl die stark ausgeprägte Muskulatur als auch der dynamische Bewegungsapparat des Pferdes fungieren als primäre Ausgangspunkte für die bildhauerische Auseinandersetzung mit dem Tier seitens der Künstlerin. In diesem Sinne ist es auch nicht verwunderlich, dass die erste Tierskulptur, welche Dana Meyer erschaffen hat, laut eigener Angabe höchstwahrscheinlich ein Pferd abbildete. Sicherlich waren es eben auch diese Qualitäten des Tieres, welche zahlreiche Kunstschaffende der älteren sowie jüngeren Kunstgeschichte faszinierten; bis heute bewirken sie, dass das Pferd als künstlerischer Gegenstand vielfache Präsenz aufweist.
1 Die ältesten bekannten Tierdarstellungen stammen aus Höhlen Südfrankreichs (Lascaux) sowie Spaniens (Altamira). Deren Entstehung wird um 30 000 v. Chr. datiert. Vgl. Ullrich, Jessica: Künste. Tiere und Bildende Kunst, in: Borgards, Roland (Hrsg.): Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart 2016, S. 195–215, hier: S. 196; Riese, Brigitte: Lexikon der Ikonografie. Religiöse und profane Motive, Stuttgart 2007, S. 325.
2 Beispiele dafür sind Marcs Blaues Pferd I, (1911, Städtische Galerie Lenbachhaus, München) oder Der Turm der blauen Pferde, (1913, ehem. Nationalgalerie, Berlin, 1937 beschlagnahmt von den Nationalsozialisten im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“, seit 1945 verschollen).
3 Kandinsky, Wassily/ Marc, Franz (Hrsg.): Der Blaue Reiter, Originalausgabe 1912, Reprint München/ Zürich 1986.
4 Vgl. Schumacher, Birgit: Pferde. Meisterwerke des Pferde- und Reiterbildes, Stuttgart/ Zürich 2000, S. 18–24, S. 113–127.
5 Alle im Text genannten Aussagen der Künstlerin basieren auf persönlichen Gesprächen der Autorin mit Dana Meyer am 03. März 2020.
6 Riese 2007, S. 228.
7 Vgl. Schumacher 2000.
8 Zu der wechselvollen gesellschaftlichen Rolle und Funktion des Pferdes vgl. Schumacher 2000, S. 6–7, S. 233; Reckert, Annett (Hrsg.): Das Pferd in der zeitgenössischen Kunst, Ostfildern 2006, S. 8–10.
9 Beispielsweise Giulio Romano und Werkstatt, Konstantins Schlacht an der Milvischen Brücke, (um 1520–24, Sala di Constantino, Vatikan, Rom). Abb. in: Schumacher 2000, S. 82–83.
10 Zum klassischen Reiterstandbild vgl. Schumacher 2000, S. 18–24, S. 113–127, S. 240; Aurnhammer, Archim/ Von den Hoff, Ralf: Reiterstandbild, in: Asch, Ronald G., u.a. (Hrsg.): Compendium heroicum, Sonderforschungsbereich „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, Freiburg 2020. https://www.compendium-heroicum.de/lemma/reiterstandbild/ (Letzter Abruf am 10. April 2020).
11 Aurnhammer/ Von den Hoff 2020.
12 Vgl. Schumacher, S. 114; Aurnhammer/ Von den Hoff 2020.
13 Dana Meyer begreift das Pferd als Symbol der Stärke, der Kraft sowie der Anmut und Eleganz.
14 Weitere zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler setzen sich auf eine kritisch-befragende Art und Weise mit dem klassischen Topos des Reiterstandbildes auseinander; beispielsweise Stephan Balkenhol mit seinem Reiter (1986–96) aus patinierter Bronze. Abb. in: Reckert 2006, S. 39.
Über die Autorin
Paula Maß
Kuratorin Frommanscher Skulpturengarten Jena Projekt Prof, Dr. Verena Krieger Lehrstuhl für Kunstgeschichte Friedrich-Schiller-Universität Jena
Herausgeberin Puplikation „Animal Crossing“ des Jenaer Kunstvereins